Besuch Grüne 60plus Hamburg in Radevormwald am 19. / 20. 8. 2019
Anwesend: Alfred Blohm, Karl-Heinz Büchner, Dr. Klaus Curth, Stephan Daudt, Gabriele Heise, Christa Möller, Dr. Jörg Rossbach, Antje William – alle Grüne 60plus Hamburg, Kordula Schulz-Asche MdB Bündnis 90/Die Grünen.
Sabine Danowski / stellv. Vorsitzende Trägerverein, Volker Grossmann / Stadt Radevormwald, Amtsleiter Soziales, Dr. Reinhold Hikl / Vorsitzender Trägerverein und Leiter des örtlichen Krankenhauses, Kyra Springer / KoordinatorinTrägerverein, Johannes Mans (bis ca. 11:00h) / Bürgermeister, Burkhard Klein / Stadt Radevormwald, Amtsleiter Bauverwaltung, Herr Scholl / Verwaltungsleiter.
Notizen
Am 19. August trafen wir Frau Springer zufällig schon bei unserem Stadtrundgang am „Haus der Begegnung“ und besichtigten die Einrichtung mit ihr. Sie gab uns ausführliche Erklärungen und verschaffte uns konkrete Einsichten in die Arbeit des Trägervereins.
- August, 10 Uhr, im ehemaligen Pastorat: Christa stellt die Grünen 60plus und Kordula stellt sich als MdB vor.
Bürgermeister Johannes Mans stellt sich damit vor, dass er von Hause aus Pädagoge ist und dann viel in der Pflege gearbeitet hat, auch in leitender Funktion. Die Unterstützung der Age Friendly City (AFC) -Aktivität ist in der Praxis nicht immer einfach, entscheidend ist nach seiner Überzeugung die Grundhaltung. Finanzielle Möglichkeiten der Stadt sind sehr begrenzt. Die Kommune hat sich kürzlich auch im Immobilienbereich betätigt, um eine Arztpraxis zu ermöglichen.
Die erste Reaktion der Bewohner auf die AFC-Bewerbung war eher kritisch: „Wir wollen keine Stadt für alte Menschen werden“. Die Menschen wollen mit dem Thema Alter und Pflege nicht konfrontiert werden. Sein Argument war, dass eine solche Stadt auch gut für junge Menschen ist.
Die Verzahnung der div. Träger und Initiativen ist eine große Stärke der Stadt. Sie hat auch soziale Problembezirke vor allem in den „Wupper-Orten“ am Rande der Stadt und ein Stadtentwicklungsprojekt. Dort wollen sie für eine gute soziale Durchmischung sorgen. Es gibt ca. 500 Sozialwohnungen, die in den kommenden zwei Jahren aus der Sozialbindung heraus fallen werden.
AFC ist nicht derTüröffner für Fördermittel, ist aber ein wichtiges Instrument für die Vernetzung und ein handlungsleitendes Gesamtkonzept. Der Vorsitzende des Fördervereins (Dr. Hikl) hätte natürlich gerne noch viel mehr Dinge umgesetzt, aber die Ressourcen der Stadt sind begrenzt. Sie haben aber doch Zugriff auf Fördermittel, bei denen die Stadt aber 40% Eigenanteil beitragen muss.
Größter Arbeitgeber im Ort: Gira Giersiepen GmbH (Elektrogeräte).
Christa: Idee in Wandsbek, Kita-Planung gemeinsam mit Altenwohnen zu planen, weil damit die Kontaktscheu abgebaut wird. Radevormwald hat damit keine größere Erfahrung, versucht das aber im „Haus der Begegnung“. Kyra Springer hat so etwas in einem früheren Altenprojekt versucht: z.B. Hochbeete, die auf der einen Seite von Kinderhänden, von der anderen Seite von Altenhänden bewirtschaftet wird. Scheitert oft aber an Vorschriften (Sicherheit…).
Zum Konzept Mehrgenerationenhaus hat Herr Mans eine eher kritische Auffassung. Die Stadt stellt aber Baugrund dafür zur Verfügung.
Frau Springer zur Arbeit des Trägervereins: Die Stadt hatte 2015 bei Antragsstellung für AFC 4800 Einwohner über 60 (22% der Gesamtbevölkerung). Der Trägerverein versucht zu VERHINDERN, dass Menschen ins Pflegeheim müssen. Damit sind durchaus nicht alle Alten glücklich. Einige fürchten, dass auf ihre Kosten gepflegt werden soll. Dieses Konzept muss also gut beworben werden. Mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MdK) hat der Trägerverein nichts zu tun.
Supervision wird von den Pflege-Mitarbeitern oft abgelehnt, wird als Kontrolle empfunden.
Der Trägerverein bekommt 1,5 Stellen von der Stadt für die Pflegeberatung, 0,5 Stellen von der Sana-Klinik für die „Aktivierenden Hausbesuche“. Das Krankenhaus hat dafür aber keine direkte Abrechnungsposition, das muss also unter „Öffentlichkeitsarbeit / Kundenbindung“ abgebucht werden.
Der Trägerverein lebt auch von Spenden und den Beiträgen der Mitglieder. Es gibt viele Kooperationen (lokaler Seniorenbeirat, Demenz-Servicezentren (wurde jetzt eingestellt), ….). Beim „Aktivierenden Hausbesuch“ können sich die Menschen beim Verein melden, sie werden dann entweder besucht und können kommen.
Prof. Olaf von dem Knesebeck hat Im Rahmen eines Demonstrationsprojektes der WHO zu „Gesundes und aktives Altern“ zwischen 2002 und 2004 ca. 4200 aktivierende Hausbesuche ausgewertet und hat festgestellt, dass vor allem ältere verwitwete Frauen sehr profitiert haben. Dabei gab es anfangs einen „Vertrag“ mit den Besuchten, inzwischen eine „Vereinbarung“, die nun auch nicht mehr zwingend ist. Der Zweck dieser Vereinbarung ist, dass auch der/die Besuchte ein Minimum von Verbindlichkeit und Selbstverpflichtung erkennt, um den Beratungsprozess erfolgreich zu machen. Damit ist kein Zwang gemeint, sondern Stärkung des Gefühls, ernst genommen zu werden. Devise ist es, nicht mehr nach den Defiziten zu fragen sondern nach den Ressourcen. Wo liegen die Stärken, Wünsche und Träume der Besuchten?
Dr. Hikl:Die große Anzahl der alten Ehrenamtlichen in den örtlichen Vereinen ist ein klarer Hinweis auf die Belastbarkeit der Senioren.
Start der AFC-Entwicklung war das o.g. ein Demonstrationsprojekt, das 2004 in einen politischen Prozess gemündet ist. Die WHO sah die Anliegen zum „Gesunden und aktiven Altern“ weltweit längst als common sense – Dr. Hikl hat allerdings festgestellt, dass das in Deutschland noch gar nicht angekommen ist.
Was ist in Radevormwald durch die AFC befördert worden und entstanden?
Der Trägerverein bietet ein Reparaturcafé, den Bürgerbus(gefahren von Ehrenamtlichen), besonders gestaltete Straßen-Übergänge, viele Sitzbänke, öffentliche WC-Anlagen und die „Rader Hilfsbörse“. So können mittags z.B. Bedürftige eine warme Mahlzeit im Haus der Begegnung bekommen.
Wie setzt man die WHO-Standards zur AFC um?
Radevormwald ist 2016 AFC geworden. Kanada hat ein Handbuch und eine Toolbox erarbeitet, die interessierte Städte übernehmen können. Radevormwald hat die Broschüre übersetzt. Für einen Antrag müssen in einem Online-Formular 24 Punkte beantwortet werden. Der Erste Bürgermeister sollte dafür mit Frau Officer/WHO sprechen. Ein „Letter of Commitment“ vom Bürgermeister ist unerlässlich. Auch sollte geklärt sein, was es schon gibt, wohin man will, welches die primären Ziele sind.
Ein Ratsbeschluss muss erfolgen, was nur mit guter parlamentarischer Mehrheit möglich ist. Die Stadt hat im Antragsverfahren keinen Zeitplan abgeliefert, was normalerweise erwünscht ist.
Das Verfahren ist in Radevormwald nicht so gut gelaufen wie geplant. Ein erster Tätigkeitsbericht wurde jetzt in 2019 erstellt, muss übersetzt werden. Derzeitig (neu) Zuständiger in der Stadt ist Herr Grossmann. Die WHO bietet den Blick auf Konzepte und Lösungen anderer Kommunen. Man bekommt eine „Interaktions-Datenbank“ in einem großen Netzwerk von 300 Städten.
Bern ist eine gutes, erfolgreiches Beispiel: die Stadt hat 2,5 Vollstellen und eine 40-seitige Planung.
Das Thema Alter ist in Radevormwald in der öffentlichen Wahrnehmung sehr präsent durch die Arbeit des Seniorenbeirats. Die Interessen der Jungen sind dagegen wenig vertreten (offenbar genau anders herum als in Hamburg). So war bei einer Befragungsaktion der größte Anteil der Antworten von den Menschen >60.
Antworten auf unsere Fragen:
zu 3: Vorschläge ergeben sich meistens aus dem unmittelbaren Bedarf. Sie werden aber oft von außen an den Trägerverein herangetragen. Viele Ältere erfahren von der Planung über die kostenlosen Wochenblätter, zumal viele keine Tageszeitung halten, weil sie sich das nicht leisten können.
Zu 4: Ganz viel Kooperation. Erfolg nur, wenn das funktioniert !
Zu 5: Der deutschsprachige Bericht liegt seit gestern vor, wir bekommen ein Exemplar.
Zu 6: Die Senioren werden aufgefordert, den Kriterienkatalog auf Erfolg hin zu überprüfen – auch wenn aus den 82 Kriterien vielleicht nur 3 beantwortet werden.
Zu 7: Die aktiven Kommunalpolitiker (außer die von den Grünen) fanden 82 Fragen fürzu umfangreichen,“damit können wir uns nicht befassen“. Eigentlich war das Engagement des Bürgermeisters die wesentliche treibende Kraft.
Zu 8: EU-Mittel wurden bisher nicht angefragt, auch wg. Sorge vor dem großen Aufwand bei Antrag und Durchführung. Kordula wird sich erkundigen und ggf. geeignete Programme melden (z.B. Förderung ländlicher Infrastruktur).
Zu 9: Zu 60% der 82 Kriterien konnte die Stadt positive Rückmeldungen geben.
Zu 12: Es gibt drei Pflegeträger, mit denen Trägerverein zusammen arbeitet. Wohnprobleme können oft nicht gelöst werden. Kalle: Alle Neubauten sollten barrierefrei realisiert werden. Frau Springer unterstützt das, weil der Altbestand ja ohnehin erhalten bleibt.
Zu 13: Zertifizierung gibt es nicht, es gibt ja nur eine Selbstverpflichtung.
Zu 14: Der Nutzen ist offensichtlich für die Kommune und zwar auch über die Altersgrenzen hinweg.Die Umsetzung des AFC-Konzepts macht aber auch Dissonanzen zwischen Teilsystemen des Gesundheitssystems deutlich: Kassen profitieren von präventiven Wirkungen der aktivierenden Besuche, zahlen aber keine Anreize oder Unterstützungen.
Zu 15: Sich vernetzen mit vielen nationalen und ein wenig (Sprachbarriere!) mit ausländischen Trägern. Aus sprachlichen Gründen gibt es vor allem Kontakt mit Bern, in Österreich gibt es kein AFC.
Burkhard Klein: Ein Quartier mit 220 Sozialwohnungen wird gerade geplant, kann, aber den Verlust nicht ausgleichen, der aktuell bei Sozialwohnungen geschieht; Autoverkehr wurde schon in den 80er Jahren vom Marktplatz ausgesperrt. Das Konzept „gespendeter Bänke“ wird vorwiegend in der Umgebung (Wanderwege etc.) verwendet, in der Innenstadt eher nicht.
Um an Fördergelder zu kommen, muss man heute fast immer „Handlungskonzepte“ vorlegen. Fördermittel werden bei der Bezirksregierung Köln beantragt, auch EU-Mittel.
Ein Quartier mit 220 Sozialwohnungen wird inden Wupper-Orten nordwestlich von Radevormwald (Dahlerau), geplant. Dort gibt es viele soziale Probleme. Die. Anbindung mit einem Quartiersbus (Pool von 20 ehrenamtlichen Fahrern) wurde eigentlich zu früh eingerichtet, der Bedarf wird erst später kommen. Veranstaltungszentrum wird ebenfalls eingerichtet und ehrenamtlich betrieben. Ziel, verschiedene Angebote zu bündeln.
Zu 17. Wir sollten uns Mitstreiter suchen. Jemand muss gut in Englisch sein. Dokumente aus Kanada besorgen. Die dort beschriebenen Schritte konkret auf die Stadt beantworten. Radevormwald ist gerne bereit uns zu helfen. Dem Einwand „das haben wir schon“ kann man begegnen, indem man das Argument umdreht und mit AFC die existierenden Dinge besser sortiert und kommuniziert werden.
Tipp: Schaut Euch Eure Partnerstädte an, vielleicht ist da eine dabei, die bereits AFC ist! Aufpassen, dass die existierenden Initiativen keine Konkurrenz befürchten sondern eingebunden werden und für sich einen Mehrwert erhoffen können.
Das Buurtzorg-Konzept findet man im Prinzip gut, aber es passt nicht auf die deutsche Pflegestruktur, wo Pflegekräfte grundsätzlich examiniert sein müssen und die Eigenverantwortung kleiner Pflegeteams nicht vorgesehen ist. Der Trägerverein umschifft diese Probleme, indem er die Pflege völlig ausklammert. Darum kümmern sich die Pflegeeinrichtungen, mit denen sie eng zusammenarbeiten.
15:00h Ende
Protokoll von Jörg Rossbach, Gabriele Heise und Alfred Blohm
Und hier noch einmal unsere Fragen:
Fragen für Radevormwald bzgl. Age Friendly City (AFC)
- Wie stehen die Einwohner dazu ? Mehrheitlich gleichgültig/positiv/kritisch ? Gibt es dabei Altersunterschiede?
- Kann man in Radevormwald Unterstützer werden (z.B. Cafés, Ärzte, Behörden)?
- Wie werden die geplanten Maßnahmen kommuniziert? Von wem kommen die Vorschläge? Wie sind sie an die lokalen Umstände angepasst?
- Welche Kooperation zwischen den einzelnen Gruppen mit Unterstützungsbedarf (Kinder, Behinderte, …) sieht das Konzept vor ?
- Wer dokumentiert die Fortschritte und wie werden sie kommuniziert ?
- Wie ist die Teilhabe der Senioren organisiert?
- Gibt es einen parteiübergreifenden Konsens oder profiliert sich v.a. eine Partei (bzw. ein Personenkreis) damit?
- Wie aufwändig war die Antragsprozedur
- Personell ?
- Finanziell ?
- Was waren die ersten/wichtigsten Maßnahmen? Wie weit wurden sie bereits umgesetzt ?
- Wie groß ist der Aufwand für die Kommune bzgl.
- Personal ? Entstand wegen der allgemeinen Personalnot Überforderung?
- Geld ?
- Investitionen ?
11.Gibt es Verpflichtungen der Verwaltung auf einzelne der 82 Punkte?
12. Wie wird mit Fragen umgegangen, die nicht lokal entschieden werden können, z.B. 28 (Wohnen), 56 (Arbeitsplätze), 72 (Pflege)? Sucht man dazu Kontakt mit externen Zuständigen ?
13. Werden weitere Stufen der Zertifizierung angestrebt?
14. Was ist der Nutzen für die Kommune ?
-
- Praktisch ? Ist der Nutzen altersabhängig ?
- Politisch ?
- Finanziell (gibt es Zuschüsse?)
15. Wie funktioniert die internationale Vernetzung?Ist sie ggf. nützlich?
16. Wie funktioniert die Kommunikation mit der WHO?
17. Was ist Ihr Rat für Hamburg?
18. Wie könnten Hamburg und Radevormwald zusammenarbeiten?