#Ü100
Am 5. April 2017 findet die Premiere des Kinodokumentarfilms „Ü100“ statt, in dem acht Hundertjährige über ihre aktuelle Lebenswirklichkeit sprechen. Der Film wird ab 6. April bundesweit in den Kinos zu sehen sein. Er ist sehr lustig, berührend und regt zum Nachdenken an. Besonders aber ist, dass der Film einen neuen Blick auf’s Älterwerden wirft – jenseits von Schönfärberei und Zweckoptimismus! Produziert wurde der Film von Dagmar Wagner, die auch Regie geführt hat.
Die Premiere findet um 20:00 Uhr im RIO Filmpalast, Rosenheimer Str. 46, 82669 München statt, einige Kinokarten kann man zur Premiere auch kaufen. LINK zumTrailer: Ü100 – Kino-Trailer – YouTube
Unsere Bundes-GA-Sprecherin Antonia Schwarz hat die Regisseurin Dagmar Wagner interviewt:
1. Frau Wagner, wie haben Sie die über Hundertjährigen gefunden?
Die acht Protagonisten des Films habe ich allein über persönliche Kontakte gefunden, drei von ihnen haben sich bei mir gemeldet, zum Teil auch auf einen Presseaufruf hin. Das Einwohnermeldeamt durfte mir keine Hundertjährigen vermitteln (Datenschutz!). Viele hier in meiner Gegend kennen mich von meiner Arbeit als Dokumentarfilmerin, Privatbiografin und Vortragsrednerin und wissen, dass sie bei mir gut aufgehoben sind, seriös und sensibel behandelt werden. Sie vertrauen mir.
Eine Auswahl zu treffen kam für mich von vornherein nie in Frage: Die Hundertjährigen, die bereit waren, mich zu treffen, und danach auch das Interview für den Film mit mir führen wollten, waren einfach dabei. Das ging nur, weil ich den Film selber mit eigenen Mitteln produziert habe. Zwischendrin meldete sich ein interessierter Produzent bezüglich einer eventuellen Kooperation, da ging es gleich mit „Auswahlkriterien“ los. Für mich war das indiskutabel. Interessanterweise kamen auf meine Weise acht Protagonist(inn)en zusammen, die sehr unterschiedlich sind, und auf ihre besondere Weise ganz spezielle Aspekte des Altseins repräsentieren. Vielleicht habe ich auch nur Glück gehabt.
2. Was war das Filmkonzept?
Die Dreharbeiten waren sehr einfach gehalten. Natürlich habe ich Fragen vorbereitet, die ich allen gestellt habe, aber vieles passierte auch spontan. Eigentlich habe ich alle über ihre Räume charakterisiert, weil sie darin die meiste Zeit verbringen. Ich habe meine Protagonist(inn)en nicht zu bestimmten Handlungen veranlasst, die sie nicht selber im Alltag ausüben. Einige von ihnen sind aktiver, andere weniger. Ich bin ohne Erwartungen zu den Dreharbeiten gefahren. Meinen Protagonist(inn)en versicherte ich, alles ihrem Wohlbefinden unterzuordnen. Insofern konnte ich vorher kein besonderes Filmkonzept entwickeln. Aber ich denke, das tat dem Film gut, da meine sehr entspannte, offene Erwartungshaltung genau dem Lebensgefühl der Hundertjährigen entspricht, die sich in keine Schablone mehr reinpressen lassen wollen: Da stehen sie längst drüber!
Einer der Protagonistinnen wollte unter keinen Umständen in einem Film als Hundertjährige mitwirken, denn dann wüsste ja jeder, wie alt sie wäre. Dafür war sie zu eitel. Aber sie machte gerne als Klavierspielerin mit.
3. Gab es auch den Gedanken: wer so alt ist und nicht rund um die Uhr betreut werden muss, müsste im Großen und Ganzen zufrieden sein?
Grundsätzlich sind meine Protagonisten tatsächlich gut aufgehoben, auch wenn sich nicht alle gleich wohl fühlen: Wer nichts mehr sehen oder hören kann, der tut sich schwer. Da wird auch der Tod herbeigesehnt, ohne dabei depressiv zu sein. Aber wenn man fast keine Möglichkeiten zur Teilnahme am Leben hat, meist nur im selben Zimmer sitzt, dann trüben sich die Gedanken schon mal ein. In so einer Situation kann kein Pflegepersonal und auch keine Familie so viel Zeit aufbringen, die Hochaltrigen zu unterhalten. Da ist ein Zusammenleben mit der Familie natürlich von Vorteil, wo ein Besuch nur mit dem Öffnen einer Tür und nicht mit Anfahrtswegen verbunden ist. Dennoch war ich sehr überrascht, wie tapfer und humorvoll selbst die sehr eingeschränkten Hundertjährigen ihr Leben meistern. Sie sind von sich aus zufrieden, da können wir von den Hundertjährigen viel Lernen. Vor allem dieser unglaubliche Humor: Mein Kameramann Thomas Beckmann und ich haben so viel mit ihnen gelacht, das habe ich so nicht erwartet. Und das kommt dem Film natürlich zugute – ohne diesen hochaltrigen Lebensabschnitt damit schönfärben zu wollen! Es war einfach so: In diesen Menschen steckt trotz erheblicher Einschränkung eine ungeheure Lebendigkeit. Das war eine Überraschung und macht Mut beim eigenen Älterwerden.
Ich will jetzt nicht die Moralkeule herausholen, so etwas finde ich langweilig, aber: Ich kann nur warnen vor dem Klischee, dass sehr hochaltrige Menschen nur noch ihre Zeit absitzen. Sie sind voller Gefühle und verdienen Respekt und Würde. Und die meisten geben ihrem Umfeld viel zurück. Sie besitzen ein ganz eigenes besonderes Potenzial, das es zu entdecken gilt und inspirieren kann. Auch das möchte der Film zeigen.