Antonia Schwarz, Sprecherin der Bundesgrünen Alten führte kurz ins Thema ein, anschließend legte die grüne Staatsministerin a.D. aus Nordrhein-Westfalen, Barbara Steffens, los – man merkte, sie sprach über eines ihrer Lieblingsthemen. Und beklagte sich gleich, dass in Deutschland alte Leute oft in Watte gepackt werden, anstatt es mit Normalität zu versuchen. Es würde jede Barriere, jedes Treppchen, alles, was Mühe macht, entfernt. Dadurch würde alles so bürokratisch, das Spaßhaben käme zu kurz. In südeuropäischen Ländern seien die Menschen dagegen mittendrin, säßen draußen mit allen anderen, wären beim normalen Alltagsleben einfach dabei.
Die Alten müssten ihre Quartiere, Vedel, ihren Kiez zurückerobern. Jedes hätte seine eigene Ausgangslage, man könne nicht alle über einen Kamm scheren, man müsse am konkreten Beispiel sehen, was man tun kann.
Wichtig sei, dass man einen Anlaufpunkt habe, ein Haus, das man nutzen könne. Das könnte ein Gemeindehaus sein, ein Krankenhaus, ein Pflegeheim oder eine Wohnungsgesellschaft, die Räume zur Verfügung stellen. In Nordrhein-Westfalen seien solche Initiativen sehr lebendig, besonders Gelsenkirche hat sich offenbar dabei einen Namen gemacht.
Einige Gruppen bieten täglich Frühstück zum Selbstkostenpreis an, gut für alle, die es sich nicht leisten können, in ein teures Café zu gehen.
In anderen Gruppen wird getanzt und gesungen, wichtig sei die Begegnung. Ein Beispiel dafür war der Aufbau eines Repair-Cafés, in das auch einige Jugendliche kamen und jede Menge kaputter Geräte mitbrachten. Sie warfen dem Senioren-Team einfach alles auf den Tisch – weil sie dachten, die würden das nie hinkriegen. Da hatten sie sich aber geschnitten, die älteren Experten reparierten ein Teil nach dem anderem. Was die Jugendlichen so faszinierte, dass sie inzwischen dabei sind und sich nun zeigen lassen, wie man nicht mehr funktionierende Technik wieder zum Laufen bringt und nicht gleich alles wegwerfen muss.
Ambulante Pflegedienste sollten an diese Initiativen angedockt sein. Das sei eine Win-Win-Situation für alle. Für Ältere, die wohnen bleiben können und für die Kommunen, die Pflegekosten für Einrichtungen (Heime) sparen. Das Umdenken habe aber leider noch nicht stattgefunden.
Es sei ganz wichtig, dass sich Menschen auf der Straße begegnen können. Auch Friedhöfe können Begegnungsstätte sein, zum Beispiel in Trauercafés. Überall müssten Bänke her, Bewegungsgeräte sind gut, Plätze mit Unterständen. Ältere können öffentliche Grünflächen mitgestalten, Pflanzen auswählen und einen Gießplan erstellen; die Wasserleitungen würden von der Kommune gelegt, die Pflanzen aber von den Älteren versorgt.
Annette Scholl von der Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros (BaS) e.V. aus Rheinland-Pfalz machte mit Nachbarschaftsangeboten weiter. Die Seniorenbüros verstehen sich als soziale Netzwerke vor Ort. Sie bieten passgenaue Hilfen an und sind wichtige Akteure in der Netzwerkarbeit der Stadt und der Gemeinde. In Rheinland-Pfalz arbeiten die Seniorenbüros oftmals in ländlichen und kleinstädtischen Räumen, weil sich in dieser Hinsicht die Strukturen von NRW und Rheinland-Pfalz erheblich unterscheiden. Praktisch: unter www.neue-nachbarschaften gibt es jede Menge Tipps, um Netzwerke aufzubauen. Inzwischen wurden über 100 Projekte in Rheinland-Pfalz gegründet. Gut, wenn das generationsübergreifend funktioniert, junge Menschen könnten oft sogar verkrustete Nachbarschaften aufbrechen, erzählte sie.
Eine Diskussion entspann sich, ob man für solche Projekte hauptamtliche Mitarbeiter bräuchte. Viele Initiativen hatten damit gute Erfahrungen gemacht.
Barbara Steffens hält den persönliche Kontakt für am wichtigsten: „Wenn ich persönlich jemanden kenne, kümmere ich mich.“ Dann regelt sich viel von allein. Man könne Telefonketten bilden, jeder ruft beim anderen an und fragt, ob alles okay sei. Man könne für die Nachbarschaft einen Mittagstisch anbieten.
Auch Antonia Schwarz hat als Seniorenvertreterin bei Aktivitäten in Berlin-Steglitz-Zehlendorf die Erfahrung gemacht, dass Nachbarschaftsarbeit an den Aktivitäten vor Ort andocken muss, „Kochrezepte“ gibt es dafür nicht.
Am Anfang haben manche Projekte nicht so gut funktioniert, waren schlecht besucht. Erst als Ältere von zu Hause abgeholt wurden, wuchsen auch diese Gruppen schnell. Zu den Essen kämen manchmal auch Kinder Alleinerziehender, sogar Schularbeiten könnten dann dort gemacht werden – die Mütter freuten sich und würden wiederum gern helfen, wenn sie Zeit hätten.
In der abschließenden Diskussion wurde nach Gentrifizierung gefragt. Die Verdrängung von Älteren verhindert, dass sie in ihrer gewohnten Umgebung bis zuletzt leben können.
Barbara Steffens gab zu, dass das ein Problem sei – ebenso wie das Abziehen von Banken, Post, Läden, Bücherhallen, Einwohnermeldeämtern, öffentlichem Nahverkehr etc. Wohnungsbaugesellschaften hätten durchaus Interesse an langfristigen Verträgen, das könne man nutzen. Und wenn Angebote verschwänden, müsste man vor Ort nach Alternativen suchen. Zum Beispiel mobile Einheiten organisieren, einen Bücher-Bus oder Einkaufsgemeinschaften. Projekte zwischen Alt und Jung könne man im Übrigen nicht diktieren, die müssten allen Altersgruppen Spaß machen, dann würde das Miteinander klappen.