1200 sogenannter Murmelgruppen haben sich bisher in Deutschland zusammengefunden, etwa 120.000 Menschen diskutieren in diesen Tagen mit Nachbarn, Freunden oder Bekannten über die aktuellen Herausforderungen unserer Zeit. Klimawandel, die Macht der Banken, Altersarmut, Rechts-Populismus, das Rentensystem, die Schere zwischen Arm und Reich, Fake-News… so vieles brennt unter den Nägeln, so viele offene Fragen – und gleichzeitig so viele falsche Menschen am Ruder! So manche Bürger*in wünscht sich eine gerechtere Gesellschaft, findet aber bisher offenbar keine Partei, der sie Antworten und Lösungen zutraut.
So auch in meiner Murmelgruppe in Hamburg-Volksdorf. Murmelgruppen tauschen sich normalerweise leise redend während einer Vorlesung oder im Unterricht aus; diesmal soll dem Austausch eine Stimme verliehen werden. Wer sich bei Campact als Gruppe anmeldet, bekommt Material und Fragestellungen für ein zwei- bis dreistündiges Treffen, bei dem die wichtigsten Herausforderungen herausgearbeitet werden sollen und zur Bundestagswahl konkrete Forderungen an die Parteien entwickelt werden. Campact leitet dann die Essenz aller Gruppen an die Parteien weiter. Ich bin das einzige Parteimitglied in unserer Runde, alle anderen sehen sich nirgendwo repräsentiert.
Unsere Gastgeber haben alles wunderbar vorbereitet. Ablaufplan und Listen hängen schon an der Wand, bereit liegen Stifte, bunte Punkte, Klebezettel und auf dem Tisch stehen kühle Getränke. Für die letzte Pause ist sogar ein Abendessen vorbereitet, perfekt. Und es gibt ein Lied zur Einstimmung: „Do you hear the people sing? Singing a song of angry men?“ (hörst du die Leute singen? Das Lied der erzürnten Menschen) aus dem Musical Les Miserables – und dann geht es auch schon los. Wir schreiben die für uns wichtigsten Probleme auf gelbe Haftzettel, anschließend erklärt jede*r, warum er oder sie dieses Thema ausgewählt hat. Alle Themen werden an das erste Campact Plakat geklebt, ähnliche Fragestellungen gleich gebündelt. Die Bandbreite der Themen ist groß, geht von der Begrenzung des weltweiten Kapitals, dem Stop der Ausbeutung aller Ressourcen über bedingungsloses Grundeinkommen, einen partnerschaftlicheren Umgang der europäischen Länder untereinander, Verbot der Privatisierung gesellschaftlicher Einrichtungen, Ursachenbekämpfung der Flüchtlingsströme, gerechtere Gehälter, auch Abgeordnete sollen sich nicht einfach bedienen können, bis zu Klimawandel, Abschaffung des 2-Klassen-Systems im Gesundheitswesen und des Leistungsdrucks in Schule, Uni und Job, lebenslanges Lernen, eine Rente, von der man leben kann… Unsere Moderatorin hält die Fäden souverän in der Hand, unser Zeitwächter achtet genau auf die vereinbarten Diskussionsabläufe. Dann versuchen wir, uns auf die zwei wichtigsten Herausforderungen festzulegen und entscheiden uns nach längerer Diskussion für „1.Sicherung der Grundbedürfnisse“ und „2.Sicherung der globalen Grundbedürfnisse“. Darunter fallen die konkreten Forderungen:
1. Sicherung der Grundbedürfnisse: Bedingungsloses Grundeinkommen, Bürgerversicherung, mehr Geld für kostenlose Bildung, Förderung der öffentlich-rechtlichen Meinungsbildung, eine Schule für alle, Rücknahme des Bologna-Reformprozesses, Festlegung der Miethöhe, keine Privatisierung bei Gesundheit und Pflege, Neustrukturierung der Altersvorsorge, Ausbau eines bezahlbaren öffentlichen Nahverkehrs, keine Privatisierung von Wasser, Energie, und öffentlichem Nahverkehr
2.Sicherung der globalen Grundbedürfnisse: keine Waffenexporte, Neuverhandlung von Handelsabkommen mit dem Ziel des fairen Handels, fossile Energien stoppen und alternative Energie fördern, Steuererleichterung für fair produzierte Waren, Verbot von Finanzspekulation auf landwirtschaftliche Produkte, Einhaltung von Hilfszusagen, globale unabhängige Bankenaufsicht
Zwischen Herausforderung 1 und 2 stärkten wir uns erstmal mit Hummus, selbstgebackenem Olivenbrot, Salat und Rotwein, dann wurde mit gleichem Engagement weiterdiskutiert. Mit zweieinhalb Stunden kamen wir nicht aus, die Diskussion startete um viertel nach sechs, um halb eins brachen die ersten in der Gruppe auf. Nicht ohne zu beschließen, dass wir uns unabhängig von Campact weiter treffen und diskutieren wollen. Die meisten kannten sich in der Gruppe schon lange, wir haben aber noch nie so intensiv über ein Thema diskutiert. Macht halt einen Unterschied, wenn tatsächlich ein Ergebnis dabei herauskommen soll.
Ich finde die Campact-Aktion ganz großartig – da hätten wir Grüne als Mitmachpartei eigentlich auch drauf kommen können, oder?
Die Veranstaltungen laufen vom 3. bis 18. Juni, wer noch mitmachen möchte, kann sich als Gruppe (bis zu 10 Teilnehmer*innen) bei Campact anmelden.