Gleich vorweg: dieser Post ist etwas länger als gewohnt – aber die Bedeutung unserer Veranstaltung rechtfertigt die Länge, denke ich.
Moderatorin Heike Leitschuh machte schon zu Anfang klar, dass sie sehr streng sein würde, was den Zeitplan angeht – und das war auch gut so bei unserem straffen Programm.
Die Begrüßung lief deshalb etwas anders ab als gewohnt, keine langen Eingangstatements und Grußworte, sondern kurze Fragen an Antonia Schwarz als Sprecherin der Grünen Alten, an Petra Elsenheimer als Sprecherin in Hessen und an Kai Klose, Vorsitzender der Grünen und Staatssekretär in Hessen.
Antonia stellte klar, dass die Grünen Alten mehr Einfluss und Gewicht in der Partei wollen, schließlich seien 22% aller Grünen über 60: „Es gibt uns seit 2004 – und viele kennen uns noch nicht mal!“ Angestrebt sei deshalb eine Satzungsänderung mit dem Ziel, einen Altenrat zu gründen, bei einer BDKAnträge stellen zu können und mehr Unterstützung durch den Bundesvorstand bei der Gründung neuer Gruppen.
Petra Elsenheimer erklärte, dass die Grünen Alten in Hessen zu allen Sitzungen des Landesvorstandes eingeladen werden– zwar ohne Stimmrecht, aber sie würden gehört. Deshalb seien auch Vorschläge der Grünen Alten ins Wahlprogramm eingeflossen.
Auch Kai Klose betonte, dass die Grünen Alten den gleichen Status wie die Grüne Jugend hätten und wie gut die Zusammenarbeit funktioniert.
Dann ging es weiter mit einer Podiums-Diskussion, mit hochkarätigen Teilnehmer*innen.
Dagmar Hirche vom Verein „Wege aus der Einsamkeit“ erreicht Ältere auf ungewöhnliche Weise: Sie organisiert Flashmobs (auch Blitzaufläufe genant) zum Weltseniorentag am 1.10. sowie Treffen in angesagten Szeneclubs, wo richtig abgetanzt wird. All for free, mit ganz viel Spaß und einem Glas Sekt inklusive. Ihr Verein hat außerdem inzwischen 4000 Senior*innen das kleine 1×1 von Smartphone und Tablet beigebracht, natürlich ebenfalls gratis. Sie fordert kostenfreies WLAN in Seniorenheimen – und würde sich sehr wünschen, diese Forderung auch im grünen Wahlprogramm wiederzufinden.
Carolina Brauckmann, Landesfachberatung gleichgeschlechliche Lebensweisen im Alter NRW forderte, dass es genügend Orte geben müsse, an denen man sich mit 60+ zum Spaßhaben treffen kann. Es gäbe schon so viele Erkenntnisse zu einer lebendigen Quartiersarbeit, aber an der Umsetzung hapere es. Dabei leben immer mehr Menschen allein in ihren Wohnungen, Einsamkeit ist ein großes Problem, besonders im Alter. „Es gibt z.B. inzwischen gerade mal zwei lesbisch-schwule Wohnprojekte in Deutschland, das wird nicht der Regelfall werden.“ In den Niederlanden sei man schon viel weiter und hätte andere Altersbilder. In Deutschland werde immer nur projektbezogen agiert. Wenn sich die Regierungsfarbe ändert, sterben oft auch die angeschobenen Projekte.
Kordula Schulz-Asche, grünes Mitglied des Bundestages, Sprecherin für Alten- und Pflegepolitik erklärte gleich, warum: In Deutschland geben wir nur 1% unseres Bruttoinlandproduktes für Pflege aus, in den Niederlanden sind es 4% und in Skandinavien sogar 5%. Ein großes Problem sei auch die Belastung für pflegende Angehörige. Oft seien es ja die 70 –Jährigen, die die 90-Jährigen pflegen müssten. Bei dementen Familienmitgliedern ist es besonders nachts wichtig, zu entlasten. In Holland gibt es das Buurtzorg-Modell, ambulante Pflege mit sehr kleinem Einzugsgebiet, mit höchst motivierten, gut bezahlten Pfleger*innen, die sich für die Älteren wirklich Zeit nehmen können. In Deutschland wird Altenpflege nicht geschätzt, es herrscht die Meinung vor, das kann jede*r machen. Eine Ausnahme bilde da nur Rheinland-Pfalz. Auch sie findet es schade, dass so viele Informationen z.T. schon seit 30 Jahren vorliegen, zur Migrationsbewegung, zur Landflucht, zum Alter. Von 2004 bis 2007 hat die Enqête-Kommission wichtige Daten zum demografischen Wandel vorgelegt, die jetzt erst als brisant gehandelt werden. „Wir müssen ehrlich sein, Probleme ansprechen und klären, wer bezahlt!“
Wilfried Ahrens vertritt die Gruppe 50+ bei Greenpeace, etwa 10 solcher Gruppen existieren in Deutschland. Die Älteren, die sich anschließen, wollen nicht Kaffeetrinken, sondern gemeinsame Aktionen umsetzen. Sie klettern zwar nicht mehr auf Schornsteine, aber der Vorteil der Älteren, so Wilfried Ahrens, sei: „Wir haben Zeit, können nicht mehr den Arbeitsplatz verlieren, weil wir Unliebsames tun – und wenn wir verhaftet werden, ist das auch nicht so schlimm.“ Zur Zeit kommen gerade ganz viele Menschen zu Greenpeace aufgrund der Rodung des Hambacher Waldes. Werben müssten die Gruppen nie, die Menschen kommen von allein.
Die Diskussion war aber nicht nur im Podium lebhaft, auch Teilnehmer*innen hatten viele Fragen und Statements. Stephan Wiese aus Lübeck wünschte sich endlich die Bürgerversicherung, ein Mitglied der Grünen Alten in Baden-Würtemberg wollte wissen, warum die Themen Rente und Altersarmut für viele Bundesgrüne so wenig beachtet würden und wollte gern Forderungen an die eigene Partei diskutieren. Christian Hohn aus Olpe/NRW beklagte, dass ältere Menschen oft die falschen Medikamente bekämen, Harald Wölter aus Münster berichtete von der aufsuchenden Sozialarbeit– was ich um die aufsuchenden Hausbesuche ab 80 Jahren in Hamburg ergänzen konnte.
Dagmar Hirche forderte alle auf, laut zu sein, in den sozialen Netzwerken genauso wie in der realen Welt. Ihr liegt besonders am Herzen, die Älteren digital mitzunehmen. Das unterstützte auch Kordula Schulz-Asche: „So gut wie alle Apps werden von weißen Männern zwischen 30 und 40 gemacht. “Wir brauchen Ältere, die digital unterwegs sind. Und schlug gleich ein konkretes Projekt für die Grünen Alten vor: Einen Kongress zur Digitalisierung älterer Menschen. Gute Idee!
Dann wurde es besonders spannend, als der Wahlforscher Prof. em. Dr. Lothar Probst aus Bremen erklärte, warum sich die Grünen mehr um die älteren Wähler*innen kümmern sollten. Bisher war die Generation 60+ offenbar eine Art Achillesferse für die Grünen, da sie in der Altersgruppe wenig punkten konnten. Man spricht in diesen Altersgruppen auch gern von der Adenauer- oder der Willy-Generation, die fest in CDU- bzw. SPD-Hand war, so Probst. Das hat sich offenbar geändert, seit die 68er in die Jahre gekommen sind. Differenziert man zwischen 60+ und 70+ werden die Grünen bei den jungen Alten zwischen 60 und 70 Jahren immer stärker! Das sei aber kein Selbstläufer, man sollte auch auf die Erfolge dieser Altersgruppe für die heutige Zeit hinweisen.
Das dicke Plus: in dieser Altersgruppe werden die Grünen automatisch als Gegenpol zur AFD wahrgenommen, die gern von der versifften grünen 68-er-Generation reden.
Wie bei den Grünen generell, sind es auch bei den Älteren eher die Frauen, die grün wählen. Und da die Älteren überproportional wählen gehen (anders als die jungen Wähler*innen) und die 60+ Gruppe wächst, während die Gruppe der Jungen schrumpft, ist die 60+ Kohorte unter dem Strich für das Wahlergebnis der Grünen wichtiger als die der Jungen. Er empfiehlt der Partei deshalb, sich mehr als bisher an den Älteren zu orientieren.
Dabei sollte man berücksichtigen, dass die Älteren keine homogene Gruppe sind. Die Partei der Grauen Panther, die die Älteren in ihrer Gesamtheit ansprach, hatte deshalb wenig Erfolg.
Da gibt es die Fitten und die Gebrechlichen, die sozial abgesicherten und die, die es nicht sind, Männer und Frauen, Ältere mit Kindern und ohne, Single und in Partnerschaft lebende Ältere, Stadt-Land-Bewohner*innen, Menschen vor und nach der Rente…
Probst griff auch den Aspekt auf, wie sexy Altenpolitik ist (ich hatte erzählt, dass mir der fehlende Sexappeal oft als Argument von grünen Politiker*innen entgegengebracht wird). Er ist der Meinung, dass Politik für Ältere durchaus sexy sein kann und auch Jüngere erreichen kann. Es müsse halt das passende Gesicht auf bundespolitischer Ebene diese Politik vertreten.
Auch interessant: Das paternalistische Verhältnis, das die Grünen den Älteren entgegenbringen. Von Älteren wird gesprochen wie von einer besonders schutzbedürftigen Spezies, die man umsorgen muss, die nicht selbst für sich sorgen können. Gerade aber die jungen fitten Älteren wollen aktive Gestalter der Gesellschaft sein. Wichtig seien deshalb Möglichkeiten der Teilhabe der Älteren. Schließlich kümmerten die sich eh schon um wichtige gesellschaftliche Aufgaben, indem sie die Familie unterstützen, sich um Eltern und Enkel kümmern, bei Schule und Job helfen. „Ältere können wichtige Brücken bilden zwischen eigener Erfahrung und neuen Herausforderungen“, meint der Wahlforscher. „Gleichzeitig entwickeln sie eine hohe Sensibilität für Zukunftsfragen: Sie wünschen sich eine gesunde Umwelt für ihre Kinder und Enkelkinder.“
Für wichtig hält er es, sich mit folgenden Themen zu beschäftigen: Die sichere und auskömmliche Rente, Älterwerden auf dem Land, Nahversorgung, Angebot an Ärzten und Krankenhäusern, die erreichbar sind.
Auch er ist der Meinung, dass Alten-WGs schon interessieren, aber letztendlich nur eine kleine Minderheit ansprechen werden. Die Grünen sollten deshalb genauso für traditionelle Wege des Älterwerdens Lösungen anbieten. Zum Beispiel durch mehr und bessere ambulante Betreuung, den Ausbau geriatrischer Abteilungen, die Förderung von gemeinsamen Einrichtungen für Jung und Alt, z.B. bei Kita und Pflegeheimen. Und die Unterstützung von Angehörigen bei der Betreuung. Außerdem sei für Ältere das Gefühl der Sicherheit auf der Straße sehr wichtig, dunkle, schlecht beleuchtete Wege würden dagegen verunsichern, genau wie Stolperfallen und die Angst vor Kriminalität, z.B. durch Enkeltricks.
CDU und SPD hätten sich immer schon um Ältere gekümmert und haben milliardenschwere Rentenerhöhungen vor Wahlen initiiert, weil sie in den Älteren ihr Potential sehen.
Man brauche bei den Grünen zwar kein Programm nur für Ältere, aber ein Kapitel im Grundsatzprogramm sollte schon dabei sein.
Da der Vortrag von Prof. Probst so interessant war, habe ich ihm einen Teil meiner Zeit gespendet – ich war nämlich als Nächste mit einem Redebeitrag an der Reihe, um über eine eine bessere grüne Online-Vernetzung der Grünen Alten zu sprechen.
Ich wünsche mir dafür Beiträge aus allen Bundesländern für diesen Blog auf unserer Homepage, alle Daten und Kontakte von Treffen der Grünen Alten, Kommentare und Reaktionen auf Facebook- und Blogposts. Und eine stärkere Mitarbeit von weiteren Mitgliedern beim Bundesvorstand.
Zum Schluss ging es noch einmal hoch her. Unser 2. Sprecher der Grünen Alten, Bernd Gosau, berichtete, wie die Zusammenarbeit mit dem Bundesvorstand (BuVo) bisher gelaufen ist und stellte unseren Satzungsantrags-Vorschlag vor.
Und dann war Katja Dörner dran, MdB und stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion. Sie erklärte gleich, dass sie nicht für den BuVo sprechen könnte, da sie nicht Mitglied sei. Aber generell könne sie schon sagen, dass wir Grünen generell keine Topdown-Partei seien, man könne nicht auf Bundesebene eine Teilorganisation gründen. Von Michael Kellner ließ sie ausrichten, dass es großes Interesse gäbe, die Grünen Alten zu unterstützen. „Wenn es noch keine Struktur gibt, dann wollen wir die gemeinsam entwickeln.“ Sie begrüßte auch sehr, dass bundesweit Grüne Alte nach Frankfurt gekommen sind. Aber, da wir eben ein Bottom-up-Verein sind, müsste wir erst bundesweit flächendeckend aufgestellt sein, bevor wir eine Teilorganisation gründen können. Bis z.B. die BAG Kinder- und Familie gegründet werden konnte, hätten auch 5 entsprechende LAGs gegründet werden müssen und das Ganze hätte acht Jahre gedauert. Den Satzungs-Antrag auf einer BDK im Jahr 2020 zu stellen – wie von Bernd Gosau vorgeschlagen – hält sie für einen schlechten Zeitplan, um das Thema Teilorganisation zu behandeln, da solle man nichts vermischen. Sie kann sich nicht vorstellen, dass wir damit Erfolg hätten.
Anschließend wurde heftig diskutiert, es gab viel Enttäuschung und Unverständnis über diese erneute offensichtliche Absage des BuVos, uns jetzt zu unterstützen. Besonders Antonia war frustriert, weil wir uns seit vielen Jahren um die Unterstützung der Landesverbände bemühen, ohne deren Hilfe wir keine bundesweiten Gruppen aufbauen können. Es gibt sowohl Kräfte im BuVo und in den Landesvorständen (LaVos), die uns Steine in den Weg legen. Antonia betonte als Sprecherin, sie könne das Argument nachvollziehen, dass Neugründungen von der Basis kommen müssten. Am Ende seien aber die Basisgruppe auf Unterstützung durch die jeweiligen Landesverbände angewiesen. Denn die Adressen der Mitglieder liegen dort vor, die Basisgruppen sind auf Unterstützung der Landesverbände angewiesen, denn nur sie haben – aus berechtigten Datenschutzgründen – Zugang zu den Mitgliedsdaten. Die Bitte an Landesverbände – wie z.B an den Landesverband Bayern, die Mitglieder ab 60 zu informieren, dass Initiativgruppen als Grüne Alte aktiv werden wollen und andere sich anschließen können, werden mit Argumenten wie »unsere Alten sind noch ganz munter« blockiert und verweigert. Den Vorschlag als Bundesvorstand Grüne Alte zu einem Treffen von Bund und Ländern zu kommen, um über die Unterstützung von Neugründung von Grünen Alten zu sprechen, ist mehrfach mit dem Argument blockiert worden, dass dringend andere Anliegen besprochen werden müssen.
Von mehreren Seiten kam der Vergleich von Henne und Ei: Wir kommen nicht weiter, weil die Strukturen fehlen. Aber wie sollen wir Strukturen aufbauen, ältere Grüne einladen, wenn uns die Landesverbände und Berlin nicht dabei helfen?
Katja riet, dass wir bei einem der regelmäßig stattfindenden BuVo-LaVo Treffen dabei sein sollten, um unser Projekt vorzustellen. Außerdem könnten wir ein GA-Treffen am Rande einer BDK organisieren (kleine Anmerkung: das haben wir schon versucht, es hieß, es sei kein Raum für uns da. Aber man kann natürlich einen neuen Versuch machen, seufz…) Sie hielt diesen, vom BuVo finanzierten Kongress für eine gute Starthilfe.
Michael Göring aus Thüringen hatte zum erstenmal von den GA gehört und meinte, das würde in den Ostländern wohl vielen genau wie ihm gehen. Von diesem Kongress sollte ein Aufruf ausgehen, flächendeckende Strukturen aufzubauen.
Einzelne GAs erzählten von Gründungsversuchen und Unterstützungszusagen, die nicht eingehalten wurden.
Andere schlugen vor, dass ein Bericht über diese Versammlung von den grünen Medien veröffentlicht werden sollte.
Wir sammelten Ideen für das weitere Vorgehen und ein Meinungsbild am Ende der Veranstaltung zeigte, dass die eine Hälfte der Anwesenden ganz zufrieden mit den Ergebnissen des ersten Treffens der bundesgrünen Alten war, die andere Hälfte mehr erwartet hätte vom Treffen. Besonders, was die Offenheit des BuVos anging, gab es viel Frust.
Ich denke aber: ein Anfang ist gemacht– und jetzt machen wir weiter. Mit mehr Unterstützung im Rücken durch viele engagierte Mitglieder, die Lust haben, sich einzubringen. Durch bunte Blog-Artikel aus den Ländern über die unterschiedlichsten Aktivitäten. Durch die Mitarbeit im Verein der Bundesgrünen Alten. Durch eine lebendige Diskussion auf der Facebookseite. Durch regelmäßige Treffen – vielleicht schon am Rande der nächsten BDK in Leipzig (9.–11.11.18)?
Fotos: Christa Möller, Monika Jennrich