Quelle: Hamburger Abendblatt, 07.04.2018, Peter Ulrich Meyer
Der neue Bürgermeister Peter Tschentscher will Politik für Senioren zu einem Schwerpunkt machen:
„Apropos Alter: Ich bin 52 Jahre alt. Gefühlt war ich letztes Jahr noch Juso, jetzt sind es noch ein paar Jahre, und ich kann mich bei der AG 60 plus anmelden.“ Auf den ersten Blick waren es nur ein paar persönliche Anmerkungen – was man halt so sagt, wenn man sich den Parteifreunden vorstellen und für ein hohes Amt empfehlen möchte. Doch Peter Tschentscher ging es auf dem SPD-Parteitag Ende März, wo er als neuer Bürgermeister nominiert wurde, noch um etwas anderes – nämlich um einen künftigen Schwerpunkt seiner Politik.
„Ich halte das Leben im Alter für ein eigenständiges und wichtiges Thema“, sagte Tschentscher seinerzeit, und das hat er seitdem bei jeder Gelegenheit wiederholt, zum Beispiel im seinem ersten Abendblatt-Interview als gewählter Bürgermeister: „Irgendwann wird man eben älter. Und die ältere Generation soll auch gut leben können in Hamburg.“ Gemeinsam mit Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) wolle er das Thema „noch sichtbarer“ machen. Doch was steckt dahinter? Was plant der neue Bürgermeister für die „Generation 60 plus“ in Hamburg?
„Es geht um seniorengerechtes Wohnen, gute ambulante Pflege und medizinische Versorgung, wohnortnahe Läden, Arztpraxen, Grün- und Erholungsräume, Barrierefreiheit im öffentlichen Raum und vieles mehr“, sagte Tschentscher jetzt auf Nachfrage. Über diese Themen wolle er eine öffentliche Debatte führen, sie ins Bewusstsein aller Akteure lenken. Besonders wichtig sei ihm der selbstbestimmte Übergang aus der vertrauten Umgebung in seniorengerechtere Wohnformen, worunter er nicht nur klassische Seniorenheime verstehe, sondern auch betreutes Wohnen oder Mehr-Generationen-Häuser. Denn häufig blieben ältere Menschen in ihrer eigentlich nicht mehr günstigen Wohnsituation, weil attraktive, seniorengerechte Angebote fehlten.
Ende 2016 lebten in Hamburg nach Angaben des Statistikamts Nord 424.000 Menschen, die 60 Jahre oder älter waren. Das entsprach gut 23 Prozent der Bevölkerung. Dem Demografie-Konzept „Hamburg 2030“ zufolge wird der Anteil der älteren Bevölkerung im nächsten Jahrzehnt auf bis zu 30 Prozent steigen.
Armut und fehlende altersgerechte Wohnungen gehören zu den drängendsten Themen dieser Altersgruppe. Erst am Mittwoch hatte der Landes-Seniorenbeirat zu einer Info-Veranstaltung mit dem Titel „Armut trotz Rente“ eingeladen. Und Referent Wolfgang Völker vom Diakonischen Werk stellte dabei fest: „Die Armutsquoten im Alter steigen, und es gibt mehr Menschen, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind. Ihr Geld reicht nicht aus, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.“
Nach seinen Angaben gelten 16,3 Prozent der über 65-Jährigen in Hamburg als armutsgefährdet. Das sei zwar etwas weniger als in der Gesamtbevölkerung (18,3 Prozent), aber die Quote der „armen“ Rentner steige rasant an: Innerhalb von elf Jahren habe sie sich verdoppelt. Wie Völker sagte, gelte ein Einpersonenhaushalt in Hamburg als arm, wenn er weniger als 1040 Euro im Monat zur Verfügung habe, bei einem Zweipersonenhaushalt liege diese Schwelle bei 1560 Euro.
Dazu muss man wissen: Dem Statistikamt zufolge bezogen Hamburger Männer 2016 im Durchschnitt eine Rente von 1115 Euro, Frauen von 925 Euro. Der DGB geht bei den Frauen sogar nur von 710 Euro aus. Mit anderen Worten: Der Hamburger-Durchschnittsrentner lebt hart an der Armutsgrenze, alleinstehende Rentnerinnen im Schnitt sogar darunter.
Bei den Sozialverbänden rennt der Bürgermeister mit der von ihm angestoßenen Debatte daher offene Türen ein. Grundsätzlich könne die ältere Generation in Hamburg zwar gut leben, weil die Infrastruktur deutlich besser ausgebaut sei als im ländlichen Bereich, sagte etwa Peter Broll, Landesgeschäftsführer beim Sozialverband VdK. „Probleme gibt es allerdings in dem Moment, wo durch altersbedingte Einschränkungen der Mobilität oder durch eine Behinderung die Nutzung dieser Infrastruktur erschwert ist.“
Außer fehlender Barrierefreiheit und personellen Engpässen beim Pflegepersonal sehe er die Versorgung mit angemessenem Wohnraum als eine der größten Herausforderungen: „Menschen über 60 beziehen irgendwann Rente, und damit beginnt das Problem bei der Finanzierung von Wohnraum.“ Der Wechsel in eine kleinere, altengerechtere Wohnung sei nicht nur schwer, sondern bringe oft auch keinen finanziellen Vorteil mit sich. „Hier hätte Hamburg zumindest die Möglichkeit, diesen Menschen den Zutritt zu Veranstaltungen wie Konzerten, Theatern und Kino zu erleichtern, indem man Eintrittspreise für diesen Personenkreis kräftig subventioniert.“
Dass es an altengerechten Wohnungen mangelt, bestätigt auch Steffen Becker, Sprecher der Diakonie: „Die langen Wartelisten unserer Service-Wohneinrichtungen sprechen für sich.“ Nicht selten müsse man Jahre auf einen Platz warten. Im öffentlichen Raum seien fehlende Beleuchtung, unebene Gehwege und zu wenige Sitzmöglichkeiten Kritikpunkte, so Becker. Auch fehle es an niedrigschwelligen Unterstützungsangeboten wie Putz- oder Einkaufshilfen. Grundsätzlich sei Vereinsamung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für Senioren ein großes Thema.
Viele Punkte also, die der neue Bürgermeister aufgreifen kann. Die nächste Gelegenheit, sich konkret dazu zu äußern, hat er bereits am Mittwoch: Dann gibt Peter Tschentscher in der Bürgerschaft seine erste Regierungserklärung als Senatschef ab.
Ende 2016 lebten in Hamburg nach Angaben des Statistikamts Nord 424.000 Menschen gemeldet, die 60 Jahre oder älter waren. Das entsprach gut 23 Prozent der Bevölkerung. Auffällig: Während die Frauen in der Gesamtbevölkerung der Hansestadt nur knapp in der Mehrheit sind (50,8 Prozent), stellen sie rund 55 Prozent der Über-60-Jährigen – zum einen eine Spätfolge des Krieges, zum anderen der höheren Lebenserwartung der Frauen geschuldet.
Der Anteil der älteren Bevölkerung wird in den kommenden Jahren weiter steigen, heißt es im Demographie-Konzept „Hamburg 2030“ der Stadt von 2013. Damals ging man davon aus, dass der Anteil der Über-60-Jährigen auf 27 bis 30 Prozent steigen wird. Besonders stark steigt der Anteil der Hochbetagten
Der Anteil der Über-65-Jährigen beträgt rund 18,4 Prozent und ist am höchsten in Poppenbüttel: Mit 33,4 Prozent ist dort jeder Dritte im Rentenalter. Es folgen Rissen (30,6 Prozent), Marmstorf (29,5) und Wellingsbüttel (28,5). Die wenigsten Alten leben in Hammerbrook (3,1 Prozent), Kleiner Grasbrook (5,2) und Billbrook (5,4). Auch angesagte Stadtteile wie die HafenCity (9,3 Prozent) und St. Pauli (9,6) haben einen relativ kleinen Anteil älterer Bewohner.
Ebenfalls auffällig: Der „Rentenbestand“ (nicht identisch mit der Zahl der Rentner, da manche von ihnen mehrere Renten beziehen) war trotz steigender Zahl älterer Menschen zuletzt rückläufig: von 442.000 in 1996 sank er bis 2016 auf 435.000. Hier machen sich unter anderem die höhere Erwerbstätigen-Quote und der immer spätere Renteneintritt bemerkbar. Laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DG gingen Männer 2015 im Schnitt mit 64,2 Jahren in Rente, Frauen mit 64,9 Jahren. Gegenüber dem Jahr 2000 stieg das Renteneintrittsalter bei Männern um 4,5 und bei Frauen um drei Jahre an.
Dem Statistikamt zufolge bezogen Hamburger Männer 2016 im Durchschnitt eine Rente von 1115 Euro, Frauen von 925 Euro. Der DGB geht bei den Frauen sogar nur von 710 Euro aus und warnt vor einem sinkenden Niveau: Denn bei den Ruheständlern, die 2015 erstmals eine Rente bezogen, lagen die Durchschnittssätze sogar nur bei 985 (Männer) und 700 Euro (Frauen).
Altersarmut ist unter Hamburger Rentnern daher weit verbreitet. Laut dem Paritätischen Wohlfahrtsverband hat sich die Quote der von Armut bedrohten Rentner seit 2006 von 5,9 auf 13,6 Prozent mehr als verdoppelt. 28.500 Hamburger beziehen bereits eine Grundsicherung im Alter – 2010 waren es erst 18.000
Rund 45.000 der Über-60-Jährigen in Hamburg sind pflegebedürftig. Für sie – und 8000 Pflegebedürftige unter 60 Jahren – stehen laut Gesundheitsbehörde 152 Pflegeheime mit knapp 18.000 Plätzen zur Verfügung. Hinzu kommen 392 ambulante Pflegedienste sowie 40 Tagespflegeeinrichtungen mit 885 Plätzen.
Von den insgesamt 52.000 Pflegebedürftigen leben knapp 15.000 in einem Heim, knapp 16.000 werden zuhause mit Hilfe von Diensten gepflegt und 21.000 zuhause durch Angehörige. Rund 190 Millionen Euro werden dafür in Hamburg an Sozialleistungen ausgezahlt. Weitere 3,3 Millionen Euro stellt die Stadt für die Offene Seniorenarbeit zur Verfügung, also etwa die 82 Seniorentreffs.
Das Problem der Vereinsamung von Senioren ist auch statistisch belegbar: Während 29 Prozent der Hamburger in Ein-Personen-Haushalten leben, sind es bei den 60- bis 80-Jährigen zwischen 33,7 und 37,6 Prozent. Danach steigt die Quote sprunghaft an: auf 46,7 Prozent bei den 80- bis 85-Jährigen und sogar 61,1 Prozent bei den Über-85-Jährigen.