Das war Gänsehautfeeling: um 9.15 Uhr sollte die Anhörung im Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beginnen, ab zehn nach neun wurde es immer ruhiger, bis man eine Stecknadel hätte fallen hören. Alle starrten gebannt auf die Tür, durch die die Richter*innen gleich in den großen Saal eintreten würden. Wir, vier Frauen der Grünen 60plus, durften dabei sein und saßen auch gleich in der 1. Reihe. Um genau 9.15 Uhr öffnete sich dann die Tür – und herein kam gemessenen Schrittes ein einzelner Gerichtsdiener, um mitten im Raum laut herauszuschmettern: Le Court! (Das Gericht!).
Und dann traten sie ein, 8 Frauen und 14 Männer, alle in traditionellen schwarzen Roben, mit einer Art Schal mit weißem Abschluss. Stärker hätte der Kontrast nicht sein können in diesem hypermodernem Ambiente. Als alle saßen, ging es sofort zur Sache: Die Präsident eröffnete die Sitzung und erteilte den Vertretern der Schweiz das Wort, alles lief auf englisch oder französisch, das dann simultan auf englisch übersetzt wurde.
Die Zeit war streng limitiert, am Ende stellten die Richter*innen zahlreiche Fragen. Nach einer längeren Pause wurden alle Fragen beantwortet. Und nun heißt es erstmal warten…
Wir waren schon am 28.3. von Hamburg nach Straßburg gereist, am Tag der Anhörung um sechs Uhr aufgestanden, um die Schweizer Klimaseniorinnen vor dem Europäischen Menschengerichtshof für ein gemeinsames Foto zu treffen. Neben den Schweizerinnen waren auch viele Vertreter*innen von Greenpeace 50plus dabei, eine Gruppe junger Menschen aus Portugal, die ebenfalls klagen wollen – und wir kamen als Vertretung der Grünen, die gerade eine parteiunabhängige Gruppe der Klimaseniorinnen in Hamburg aufbauen.
Vor dem Gerichtsgebäude waren viele Pressevertreter*innen erscheinen, die meisten aus der Schweiz, Frankreich und Österreich, aber auch die deutsche Presse war interessiert, ein Bericht mit Foto erschien z.B. bei Spiegel online und die ARD fragte nach einem Interview. Kein Wunder, dass das Presseinteresse groß war, waren doch zum ersten Mal die Klimaaktivistinnen im Schnitt über 70, das hat es bisher so noch nicht gegeben.
Inzwischen zählt der Schweizer Verein 2000 Frauen im Rentenalter als Mitglieder und wird von rund weiteren 1000 Frauen und Männern unterstützt.
Der Grund der Klimaklage ist klar: Je älter Menschen werden, desto schlechter können sie ihre Körpertemperatur regulieren, sie schwitzen weniger und haben kaum Durstgefühl.
Besonders ältere Menschen in Städten haben es schwer, können der Hitze kaum entkommen. Der viele Beton, die fehlenden Pflanzen, aus denen kühlende Feuchtigkeit verdunstet, sowie zahllose Oberflächen, die Wärme speichern, machen Städte zu Wärmeinseln, in denen es bis zu zehn Grad Celsius wärmer sein kann als auf dem Land.
Die Folge können Hitzekrämpfe oder ein lebensgefährlicher Hitzschlag sein. Und darüber redet niemand, weil die Menschen meist ganz still und leise in ihren Wohnungen sterben, zum Beispiel weil ihr Kreislauf versagt oder sie völlig dehydriert sind.
Deshalb möchten die Schweizerinnen nun in Straßburg gegen die Schweiz klagen, weil sie zu wenig gegen den Klimawandel tut und besonders ihre älteren Bewohnerinnen zu wenig schützt. Krank werden nämlich hauptsächlich ältere Frauen, die Statistiken dazu sind eindeutig, erklärte die Anwältin der Klimaseniorinnen während der Anhörung. Sie war brillant, konnte alle Fragen der dreistündigen Sitzung detailreich beantworten – während den Schweizer Anwälten am Ende die Argumente ausgingen und sie dafür immer lauter wurden.
Wir hoffen sehr, dass Schweizerinnen Erfolg haben werden. Es würde sehr viel verändern, wenn ihre Klage anerkannt würde. Mit einem Urteil wird allerdings nicht vor Herbst gerechnet, vermutlich kommt es sogar erst im nächsten Jahr. Bis dahin heißt es: Fest die Daumen drücken!