Die GRÜNEN 60plus haben ein Positionspapier entwickelt, in dem es um die Situation der älteren Menschen in Zeiten von Corona geht. So ein Papier kann natürlich nur eine Momentaufnahme sein, es gibt täglich neue Informationen und Veränderungen, so dass gerade nichts in Stein gemeißelt werden kann. Bisher sind unsere Forderungen und Wünsche allerdings immer noch hochaktuell!
Positionspapier Grüne 60plus, Hamburg vom 11.4.2020:
Neue Hotspots der Corona-Pandemie und Vorschläge für eine mögliche Exit-Strategie
Die gegenwärtige Pandemie fordert unsere Gesellschaft in bisher unbekanntem Umfang heraus und wir erleben eine große Welle der Solidarität. Bisher waren es hauptsächlich jüngere, fitte Menschen, die von Covid-19 angesteckt wurden, wie Skiläufer*innen im Urlaub oder Berufstätige. Das könnte sich bald ändern, wenn Alten- und Pflegeheime in absehbarer Zeit zu neuen Hotspots der Corona-Pandemie werden. Deshalb stehen sie zunächst im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Allein die Beispiele aus Wolfsburg und Würzburg verdeutlichen, wie groß die Gefährdung der Bewohner*innen inzwischen ist und welche Entwicklungen uns bevorstehen könnten.
Situation in Altenheimen neu überdenken. Wir wollen Risikogruppen unbedingt schützen – Ältere ebenso wie Menschen mit Vorerkrankungen und mit Behinderungen. Vor dem Hintergrund von Personalengpässen und fehlender Ausrüstung galt Isolation daher als Mittel der Wahl. Weil sie sich als Schutzmaßnahme einfach umsetzen lässt und weil sie schnell funktioniert. Es geht aber auch anders, meinen Virologen wie Prof. Alexander Kekulé, z.B. mit Regelungen und Absprachen. Bisher wurde viel zu wenig darüber geredet, welche gesundheitlichen Folgen eine längerfristige Isolation für ältere Menschen haben könnte. 1*) Kekulé fordert deshalb, die Altenheime künftig genauso ernst zu nehmen wie die Kliniken. Diese Forderung unterstützen wir und haben konkrete Vorschläge entwickelt, wie Pflegeheime damit umgehen könnten (siehe Anlage 1).
Konkret bedeutet das: Beschäftigte von ambulanten Pflegediensten und in stationären Einrichtungen brauchen den gleichen Schutz wie das Personal in Kliniken (auf normalen Stationen) und in Zahn- oder Hausarztpraxen — also Schutzkleidung, Desinfektionsmittel und vor allem Mund-Nasen-Schutz.
Soziale Kontakte als Gesundheitsvorsorge. Eine Art „Zwangsquarantäne“, eine gefühlte „kollektive Entmündigung“ der pflegebedürftigen Menschen muss so bald wie möglich beendet werden. Durch individuelle Maßnahmen, über die gemeinsam mit Betroffenen, Heimbeiräten und Angehörigen beraten wird, sollte es auch in der aktuellen Situation möglich sein, einen regelmäßigen Kontakt zwischen den Bewohner*innen untereinander und nach außen hin zu organisieren. Bei der Umsetzung muss die Politik gegebenenfalls für finanzielle Unterstützung sorgen.
Bei allen Überlegungen dürfen wir eins nicht vergessen: „Die Alten“ gibt es nicht. Gesundheitliche Unterschiede beispielsweise sind bei Menschen mit unterschiedlich hoher Bildung oder Einkommen häufig ebenso groß oder sogar größer als Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen. Und fest steht auch, dass die Reduktion der Kontakte die gefühlte und die tatsächliche Gesundheit negativ beeinflussen. 2*)
Da besonders Menschen über 65 vorwiegend in Ein- und Zweipersonenhaushalten leben, steigern soziale Kontakte zur Familie, zu Nachbar*innen, Freund*innen und Bekannten die Lebenszufriedenheit in entscheidendem Maße. Und dies stärkt wiederum ihre Gesundheit.
Digitale Teilhabe fördern. Lässt sich eine vorübergehende Kontaktsperre trotz aller Bedenken nicht verhindern, sollte zumindest die digitale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gefördert werden, z.B. über Messenger-Dienste und Video-Telefonie. Besonders in der Altersgruppe bis Mitte 70 haben viele Ältere bereits Zugang zum Internet. Es wäre deshalb gut, eine spezielle Senioren-Online-Seite zu haben mit leicht verständlichen Tutorials, Corona-Informationen, Bewegungsübungen, Spielen und der Möglichkeit, online mit anderen zu kommunizieren (siehe Anlage 2). Auch Schnell-Tests, Tests zur Immunität und eine App, die frühzeitig über Kontakte mit Infizierten informiert (z.B. PEPP-PT), sollten so schnell wie möglich zur Verfügung stehen.
Berufstätige ab 60 vernünftig integrieren. Ist eine Lockerung der Maßnahmen nach Ansicht der meisten Expert*innen vertretbar, sind auch außerhalb von Kliniken oder Pflegeheimen umfassende Schutzmaßnahmen wie Abstandsregeln, Schutzmasken, Desinfektionsmittel und Handschuhe unabdingbar. Keine Lösung wäre es dagegen aus unserer Sicht, das Berufsleben von Menschen ab 60 generell entscheidend einzuschränken. Vor allem auch in pädagogischen Bereichen wie Kita oder Schule ist es nicht hinnehmbar, ältere Lehrkräfte oder Erzieher*innen „zum Eigenschutz“ vor der Tür zu lassen. Es gilt vielmehr, ausreichend Testmöglichkeiten (auf Immunität) sicherzustellen und in den jeweiligen Systemen individuelle Lösungen zu entwickeln, beispielsweise durch eine veränderte Arbeitsorganisation.
Daraus folgt: Für einen schrittweisen Corona-Ausstieg brauchen wir in allen Bereichen des öffentlichen Lebens eine Strategie, die sich am jeweils aktuellen und individuellen Risiko der Betroffenen orientiert. Und wir brauchen eine Strategie, die alle Generationen mitnimmt.
Die GRÜNEN 60plus, 11.4.20, Christa Möller-Metzger, Prof. Dr. Jörg Rossbach
1*) https://www.spiegel.de/gesundheit/coronavirus-strikte-isolation-ist-gerade-fuer-aeltere-gift
2*) DZA Deutsches Zentrum für Altersfragen: https://www.dza.de/
Anlage 1: Vorschläge für Regelungen in Pflegeheimen
Für eine Exit-Strategie aus den allgemeinen Präventionsmaßnahmen (Kontaktsperre, Shutdown etc.) ist es uns wichtig, insbesondere auch einen möglichen Ausstieg aus den Isolationsmaßnahmen der älteren, pflegebedürftigen Menschen in den Heimen zu entwickeln. Wir machen dazu folgende Vorschläge, die sich an der Meinung ausgewiesener Expert*innen orientieren:
- Heime sollten dafür sorgen, dass die Bewohner*innen sich regelmäßig an der frischen Luft bewegen.
- Das Essen soll möglichst gemeinsam eingenommen werden, damit die Bewohner*innen miteinander kommunizieren können. Lässt sich dabei ein Mindestabstand von 1,5 Metern nicht einhalten, könnten z.B. zwei Tischzeiten angesetzt werden.
- In den Pflegeheimen muss das Personal verstärkt und vor allem regelmäßig auf eine mögliche Infektion getestet werden.
- Eine komplette und ausreichende Ausstattung mit Schutzkleidung und -masken für alle Mitarbeiter*innen muss selbstverständlich sein.
- Besuche von Angehörigen sollten zum Schutz der Bewohner*innen im Freien (Grünfläche der Pflegeheime, vor der Tür im Eingangsbereich etc.) stattfinden.
- Ist nur ein Besuch am Bett oder im Zimmer möglich, weil die Pflegebedürftigen nicht mehr mobil sind, muss auch für die Angehörigen Schutzkleidung – insbesondere FFP 2- und FFP 3- Masken – zur Verfügung gestellt werden.
- Zur besseren Übersichtlichkeit der Besuche könnten feste Besuchszeiten vergeben werden.
- Falls in Pflegeheimen Corona-Fälle nachgewiesen werden, sind sofort getrennte Versorgungsbereiche für Infizierte und Nicht-Infizierte einzurichten.
- Die Einbeziehung von Ehrenamtlichen sollte wieder möglich sein, indem für sie die gleichen Vorsichtsmaßnahmen gelten wie für Besucher*.
- Gegebenenfalls muss finanziell nachgebessert werden, um ausreichend neue Pflegekräfte einstellen zu können.
- Schwerstpflegebedürftige sollten — wenn möglich – vor einem Krankenhausaufenthalt gefragt werden, ob sie eine intensivmedizinische Versorgung wünschen. 3*)
- Um Isolation weitestgehend durch Kommunikation zu ersetzen, sollte in Senioreneinrichtungen überall WLAN zur Verfügung stehen und Senior*innen, z.B. von Ehrenamtlichen, über die wichtigsten Funktionen aufgeklärt werden. Hardware, wie z.B. ein Tablet, könnte ausgeliehen werden.
- Ausfälle in der häuslichen Versorgung können häufig nicht allein von den Familien aufgefangen werden. Leistungen zur Entlastung pflegender Angehöriger sollten deshalb schnell und unbürokratisch erhöht und flexibilisiert werden. 4*)
4*) https://www.bagso.de/publikationen/menschen-in-der-pflege-nicht-allein-lassen/
Anlage 2: Online-Angebote für Senioren
Mehr als 82 % aller Deutschen zwischen 60 und 69 Jahren nutzen das Internet, 62 % sind es bei den über 70-Jährigen. Viele von ihnen wissen aber bisher nicht, was sich alles online machen lässt. Sie haben beispielsweise noch nie gechattet, per Skype mit Freunden kommuniziert oder Fotos für die Enkel hochgeladen.
Denkbar wäre ein Online-Angebot im Rahmen einer offiziellen Hamburg-Seite, z.B. Hamburg.de, das speziell für ältere Menschen entwickelt wurde. Diese Informationen müssten übersichtlich und selbsterklärend sein, ohne allzu verwirrende Fachbegriffe und auch ohne Werbung. Dort sollten Tutorials eingebaut werden, z.B. zu folgenden Themen: Fotos aufnehmen und verschicken. Spiele suchen. Zeitungen als E-Paper lesen. Programme finden, über die man mit Familie oder Freunden online im Gespräch sein kann. 5*)
5*) Zum Beispiel wie es Dagmar Hirche vom Verein „Wege aus der Einsamkeit e.V.“ gemacht hat. Sie hat bereits entsprechende Tutorials entwickelt und etwa 6500 Senior*innen über den Gebrauch von Tablets und Smartphones informiert.
Unterzeichner*innen:
Alfred Blohm
Christiane Blömeke Dr. Klaus Curth Stephan Daudt Prof.Dr.Marlis Dürkop-Leptihn Uschi Germer Uwe Halpap Volker Haß Inge-Maria Weldemann |
Gabriele Heise
Eckhard Heumeyer Marius Kiemer Dr. Ingo Lembke Christa Möller-Metzger Dr. Petra Osinski Prof. Dr. Jörg Rossbach Dr. Rita Rossbach Nina Klatte-Heinsohn |
Parvin Schröder
Prof. Dr. Petra Strehmel Karl-Heinz Tödt Chrissie Jones Karl-Heinz Büchner Gerhard Delfs Martin Dittrich Dagmar Hirche |