Age-friendly City – ein Konzept auf dem Weg zur Verwirklichung
Wo stehen wir? Was fehlt? Ein europäischer Austausch
Am Internationalen Tag der Senioren gelang es den Grünen 60plus in Hamburg, zu einer ganz besonderen Videokonferenz einzuladen. Zum ersten Mal saß Manfred Huber mit am virtuellen Tisch. Er verantwortet in Kopenhagen das WHO-Konzept der Age-friendly Cities and Communities. Schon mehrmals war er nach Hamburg eingeladen, aber erst jetzt beteiligte er sich an einem Erfahrungsaustausch zu einer seniorengerechten Stadt.
Dazu konnten Evelyn Hunziker aus Bern und Kyra Springer aus Radevormwald im Bergischen Land konkrete Berichte beisteuern. Beide Städte gehören dem Netzwerk schon seit einigen Jahren an. In Münster und auch in HH will man davon lernen, denn in beiden Städten steht das WHO-Konzept auf der kommunalen Agenda.
Was im Zentrum altersgerechter Politik stehen sollte, fasste Karin Haist von der Körber-Stiftung Hamburg vorab zusammen: Alter als das letzte Lebensdrittel (laut WHO ab 65) sei sehr divers und lasse sich nur in Abhängigkeit von Geschlecht, Bildung, Einkommen definieren. Alle demografisch ausgerichteten Konzepte müssten angesichts dieser Diversität potenzialorientiert sein, so Haist. „ Alte sind Subjekte und nicht bloße Betreuungsobjekte“, betonte sie. Sie einzubeziehen in die Planung von Projekten sei eine Voraussetzung für das Gelingen demografisch ausgerichteter Initiativen.
In Bern ist dem Kompetenzzentrum Alter vor allem die lebendige Quartiersarbeit ein Anliegen. Es braucht vor allem im persönlichen Nahbereich Beziehungen, Anlaufadressen und Vernetzung, betonte Evelyn Hunziker. Die Berner Nachbarschaftshilfe ist inzwischen in den meisten Quartieren zu finden. Von 720 Mitgliedern dort seien 500 aktiv. Auch viele Jüngere seien ehrenamtlich dabei.
Auch Kyra Springer aus Radevormwald, Koordinatorin des Vereins 55plus, betonte diese Konzentration auf persönliche Ansprache. Im zentralen Haus der Begegnung gebe es einen täglichen Mittagstisch, ein Café, Lebensmitteltüten für Bedürftige und das Angebot, zum Reden vorbeizukommen. Die Rader Hilfsbörse vermittele ähnlich wie in Bern zwischen Unterstützungsangeboten und deren Nutzern.
Wie in Bern so herrsche durch das Age-friendly-City-Konzept auch in Radevormwald ein anderer Geist. Die Parkbänke seien altersgerecht, deutliche Profilstreifen an Gehwegübergängen und behindertengerechte Bushaltestellen helfen bei der Mobilität. Auch die „Nette Toilette“ sei gut eingeführt – also die Möglichkeit, in besonders gekennzeichneten Restaurants die WCs zu nutzen, ohne dort etwas konsumieren zu müssen.
Christa Möller, seniorenpolitische Sprecherin der Grünen in der Hamburger Bürgerschaft, berichtete, dass sie als ein Hauptproblem bei ihrem Engagement für Senioren die verschiedenen Spaltungen in dieser Gruppe erlebe. Die jungen Alten hätten kaum Umgang mit Hochbetagten, digitale Kompetenzen seien ungleich ausgebildet, Migranten suchten selten Zugang zu unterstützenden Angeboten und Begegnungsstätten. Und vor allem Einsamkeit sei das große Thema, vor allem durch die Corona-Beschränkungen.
Um die digitalen Kompetenzen zu fördern, bietet der Verein 55plus in Radevormwald eine Handy-Sprechstunde an. Das funktioniere gut, meinte Kyra Springer, es gebe allerdings das Problem, dass der Internetausbau in der Region noch hinterherhinke.
Die Stadt Münster, gerade dabei, sich dem Netzwerk anzuschließen, baut auf den Ausbau der Quartiersarbeit und die Vernetzung zwischen Hilfsbereiten und Hilfsbedürftigen. Der Verein „Anti-Rost“ gehört dazu, in dem Senioren der Nachbarschaft ihre Kompetenzen anbieten. Auch das Projekt „Wohnen gegen Hilfe“ funktioniert gut und vermittelt mithilfe des ASTA der Universität zwischen Senioren und jüngeren Mitbewohnern. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten, betonte Ratsherr Harald Wölter.
Was immer mehr in den Fokus der Stadtverwaltungen rückt und nach Meinung aller Diskutanten auch rücken muss, ist die städtische Planung von Begegnungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum. Dazu wurden zahlreiche gelungene Beispiele genannt.
Christa Möller und Karin Haist berichteten begeistert vom Haus der Begegnung in Aarhus, Dänemark, wo das Einwohnermeldeamt mit der kommunalen Bibliothek und einem Beratungszentrum für technische Hilfen im Alter unter einem Dach sind. Manfred Huber berichtete von einem Einkaufszentrum in Aarhus, das über verbesserte Fußwege mit einem Altenheim verbunden wurde. In Bern gibt es das Generationenhaus am Bahnhof mit Café, Altenheim und Ausstellungsräumen, um die Menschen zusammen zu bringen.
Doch auch in Hamburg gibt es neue Wege. So sei Bergedorf dabei, ein neues Begegnungszentrum zu bauen, berichtete Karin Haist. In Zusammenarbeit der Körber-Stiftung mit verschiedenen anderen Partnern sollen dort ein Theater, die Bücherhallen, die Freiwilligenagentur und verschiedene Seminar- und Arbeitsräume zu finden sein. Damit würde die Klammer zwischen Jung und Alt verstärkt.
Aus den Kreis der zugeschalteten Gäste unserer Videokonferenz gab es viele weitere Beispiele gelungener Symbiosen zwischen Älteren und Jüngeren. Aus Berlin berichtete Antonia Schwarz, Bundessprecherin der Grünen Alten, von Taschengeldbörsen, gemeinsamen Kochterminen für Migranten und „Biodeutschen“, Patenschaften zwischen Altenheimen und Schulen, Wohnprojekten von Alleinerziehenden mit Senioren zur gegenseitigen Hilfe.
In Hamburg bietet der Verein Clubkinder e.V. das Projekt Alte & Coole an, bei dem junge Ehrenamtliche schöne Dinge mit Menschen 60plus machen, berichtete Cornelia Brammen. Und auch die „Kulturistenhoch2“ brächten junge und alte Menschen mit Freude zusammen.
Ein breites Potpourri an bereits existierenden Konzepten wurde also sichtbar, ganz im Sinne einer Age friendly City. Selbst für Manfred Huber waren viele dieser Initiativen und Einrichtungen noch unbekannt. Er würdigte deshalb diese Videokonferenz als einen gelungenen und inspirierenden Austausch. Es passe gut, dass die WHO seit einigen Wochen nun auch alle Informationsbroschüren zum AfC-Netzwerk auf Deutsch anbiete – im Internet oder auf Papier. Damit könne die Bekanntheit des Programms weiter zunehmen und auch in Deutschland endlich auf mehr Resonanz treffen, hoffte Huber.
Doch welchen Nutzen hat eine Mitgliedschaft im WHO-Netzwerk für die Kommunen? Manfred Huber konnte berichten, dass der Austausch zwischen den Städten des Netzwerks dabei helfen kann, gezielter an Fördergelder der EU zu kommen. Evelyn Hunziker und Kyra Springer würdigten, dass sich ein anderes Bewusstsein in Politik und Verwaltungen verbreite. So sei die Liste mit 82 Kriterien und acht Aktionsfeldern aus dem Programm der WHO ein guter Weg, zu einem „Pack an“ zu finden, meinte Kyra Springer. Man könne sich auch vieles bei anderen Kommunen abgucken. In Bern und Radevormwald wird der bürokratische Aufwand für die Mitgliedschaft auch als gering eingeschätzt, zumal jetzt, da alle Unterlagen nun auf deutsch zu lesen sind.
Ein weiteres Thema der Konferenz war das Anliegen, in der Betreuung
von Älteren von großen Einrichtungen weg zu kommen und das Leben in der eigenen Wohnung so lange wie möglich zu unterstützen. Oft fehlt es in vielen Kommunen noch an der politischen Bereitschaft, Planungen vom Konzept abhängig zu machen und nicht von Höchstgeboten. In NRW hat der „Pflegebedarfsplan“ dafür den Weg bereitet, berichtete Harald Wölter. Alle Projekte kommunaler Bauträger müssen inzwischen auch Wohngemeinschaften einplanen, in denen Ältere und Pflegebedürftige gut leben können. Auch Begegnungsräume gehören zu solchen Planungen dazu.
Auch Kyra Springer wies auf neue Modelle hin, um Investoren an soziale Verpflichtungen zu binden – z.B. das Projekt „Alternatives Wohnen Erftstadt“ oder die „Wahlverwandtschaften“ in Bonn. Aus dem Kreis der Zuschauerinnen kamen noch Hinweise auf Berlin, wo im „Bunten Haus“ Alleinerziehende mit Senioren zusammen in Hausgemeinschaft leben.
Das Gespräch machte deutlich, wie überall in kleinen oder größeren Schritten daran gearbeitet wird, unsere Gesellschaft neu zu justieren und vorzubereiten – auf ein Leben mit viel mehr älteren Menschen. Und auf ein Leben mit viel mehr älteren Menschen, die noch aktiv teilhaben wollen am Miteinander aller Generationen! Das Programm der Age friendly City ist ein guter Baustein, um die Blick dafür zu schärfen. Wenn dann noch der Wille in den Kommunen wächst, bei allen Planungen dem sozialen Zusammenleben mehr Raum zu geben und nicht nur dem Marktprinzip zu folgen, könnte unsere Gesellschaft gestärkt in die Zukunft gehen.
Zum Schluss lud Karin Haist noch zum jährlichen Demografie-Symposium am 4./5. November in die Körber-Stiftung in Hamburg ein. Dort wird seit langen Jahren der Austausch aller kommunalen Akteure in diesem Bereich gefördert:
Weitere Hinweise zum Thema
Berichte über Städte, die dem Age-friendly-Cities-and-communities-Netzwerk angehören oder sich bewerben:
https://www.gruenealte.de/gruener-besuch-in-der-ersten-age-friendly-city-deutschlands/
https://www.gruenealte.de/bern-traditionsreich-und-generationengerecht-in-die-zukunft/
https://60plus.gruene-hamburg.de/muenster-auf-dem-weg-zur-age-friendly-city/
Material der WHO zur AFC in deutscher Sprache:
Text und Fotos: Gabriele Heise